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Dieter Hassler, Kraichtal
Auch mehr als dreißig Jahre nach Entdeckung der Borreliose als Krankheitsentität sind die verfügbaren Daten zur Therapie erstaunlich dürftig. Nur wenige kontrollierte Studien und etwas zahlreichere In-vitro-Daten stehen zur Verfügung. Trotzdem haben sich Quasi-Standards zur phasengerechten Therapie der Borreliose etabliert. In der Phase I, der Lokalinfektion, gelten Doxycyclin bei Erwachsenen und Amoxicillin bei Kindern als Therapie der Wahl, in der chronischen Phase der Infektion lassen nur intravenöse Cephalosporine der dritten Generation einen Heilungserfolg erwarten.
Schlüsselwörter: Lyme-Borreliose, Therapie, Erythema migrans, Borrelien-Lymphozytom
Chemother J 2006;15:106-11.
Die Lyme-Borreliose ist eine außerordentlich häufige Erkrankung. Je nach Region zeigen Seroprävalenzstudien, dass bis zu 20 % der Probanden Antikörper gegen Borrelia burgdorferi sensu lato aufweisen. In einer eigenen Untersuchung in Kraichtal/Nordbaden haben wir 16,7 % seropositive Probanden in einer nichtselektierten Stichprobe der Gesamtbevölkerung gefunden (n = 2 628) [18].
Diese hohe Rate von Seropositiven hat die Annahme begründet, dass der Nachweis von Immunglobulin-G-Antikörpern (IgG-Antikörpern) in vielen Fällen lediglich auf eine früher durchgemachte Infektion zu interpretieren wäre. Diese Ansicht wird noch heute vielfach publiziert. In einer Langzeituntersuchung des genannten Kollektivs konnten wir dann aber zeigen, dass alle seropositiven Probanden irgendwann auch klinisch symptomatisch werden. Die maximale Latenzzeit bis zum Auftreten von Krankheitssymptomen betrug acht Jahre [21]. In der einzigen ähnlichen Langzeitstudie, die bisher weltweit durchgeführt wurde, fanden Petersen et al. bei 1 849 Probanden ganz ähnliche Ergebnisse und ebenfalls eine maximale freie Latenzzeit von acht Jahren [36]. In der jetzt fast zwanzig Jahre laufenden Nachbeobachtung des Kraichtaler Kollektivs konnten keine Spontanheilungen bei Borrelieninfektionen beobachtet werden.
Hinzu kommt ein mikrobiologisches Argument: Bei allen Krankheitsstadien konnten Borrelien kulturell angezüchtet werden [24, 40, 41, 44, 46, 47]. Beim Erythema migrans gelingt die Anzucht regelhaft, aus Liquorproben relativ häufig, bei Synoviabiopsaten zumindest in Einzelfällen und bei der Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) wieder sehr regelmäßig.
Daher kann heute als geklärt gelten, dass die Lyme-Borreliose eine primär chronisch verlaufende Infektionskrankheit ist, bei der es in Analogie zur Syphilis keine Spontanheilung gibt. Die These eines „Durchseuchungstiters“ im Sinne einer durchgemachten, spontan überstandenen Infektion konnte nie belegt werden und sollte heute obsolet sein.
Borrelien sind weltweit verbreitet. Die meisten Arten werden durch Zecken verbreitet, nur Borrelia recurrentis wird von Kleiderläusen übertragen. In Mitteleuropa sind mehrere Arten nachgewiesen worden. Eine Studie an mehr als 5 000 Isolaten aus Süddeutschland [26, Oehme unpublizierte Daten]
zeigte folgende Verteilung:
Da ein Teil der Stämme nicht oder nur sehr schwer kultivierbar ist, ist für einige die Humanpathogenität noch nicht gesichert.
Es ist bisher unklar, ob die verschiedenen Borrelienarten klinisch unterscheidbare Krankheitsbilder verursachen. Eine Untersuchung von van Dam [48] scheint zu belegen, dass Borrelia garinii häufiger für Neuroborreliosen verantwortlich zu sein scheint und Borrelia burgdorferi s. s. häufiger bei der Lyme-Arthritis gefunden wird. Bei der ACA findet man besonders häufig B. afzelii. Diese Ergebnisse bedürfen aber noch der Bestätigung. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass in den Niederlanden B. garinii häufiger und B. afzelii seltener isoliert wurden als in Süddeutschland [26, 48]. Generell verläuft eine Borrelieninfektion in drei Phasen (die klassische Stadieneinteilungerscheint nach mikrobiologischen Kriterien eher überholt).
Die Phase I ist eine Lokalinfektion, die unter dem Bild eines Erythema migrans oder eines Lymphozytoms ablaufen kann. Das Erythema migrans zeigt sich, wenn der Erreger sich von der Stichstelle zentrifugal ausgebreitet hat und nach sieben bis zehn Tagen die zelluläre Immunreaktion einsetzt. Lymphozyten und Plasmazellen strömen in die Haut ein und werden als meist ringförmige, gut abgegrenzte Rotfärbung sichtbar. Da die Epidermis nicht beteiligt ist, entsteht nur ein Erythem, niemals ein Ekzem. Das Borrelienlymphozytom ist nach pathophysiologischen Kriterien lediglich eine Sonderform des Erythema migrans. Besonders häufig tritt es bei Kindern am Ohr auf. Die anatomische Struktur des Ohres verhindert die Ausbildung einer kreisförmigen Rötung, so dass eher ein diffuses Infiltrat imponiert. Natürlich handelt es sich auch hier um eine Phase-I-Infektion, nicht, wie gelegentlich beschrieben, um ein Symptom der Phase II.
Grundsätzlich kann ein Lymphozytom an allen Körperstellen solitär oder im Zentrum eines Erythema migrans auftreten. Nach eigenen Beobachtungen tritt es in isolierter Form bei Reinfektionen besonders häufig auf. In diesen Fällen kommt es durch die schneller und heftiger einsetzende Immunantwort bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu einem Einströmen der immunkompetenten Zellen, so dass statt eines flächigen eher ein knotiges Infiltrat entsteht.
Erregergeneralisation Nach einer gewissen Zeit der Erregervermehrung in der Haut kommt es zu einer Bakteriämie. Diese kann normalerweise etwa nach drei Wochen erwartet werden. Klinisch ist die Bakteriämie durch grippeartige Allgemeinsymptome, Kopf- und Gliederschmerzen, Nachtschweiß und Herzklopfen charakterisiert und daher kaum von anderen akuten Infektionen zu unterscheiden. Fieber ist meist nur gering ausgeprägt. Diese Phase kann auch subklinisch verlaufen, wenn die Erregerzahl gering ist. Ein Erythema migrans an der Stichstelle tritt in etwa 80 % aller Infektionen auf. Wenn die Zecke beim Stich direkt ein Blut- oder Lymphgefäß getroffen hat, kann aber ein Erythem fehlen. Dann beginnt die Erkrankung meist um den zehnten Tag nach Zeckenstich mit grippeartigen Allgemeinsymptomen.
Nach dieser Erregerstreuung können erste Organsymptome auftreten. Wandern die Borrelien in die Liquorräume ein, folgt eine lymphozytäre Meningitis (etwa 5 % der Fälle). Ist das Herz betroffen, kann eine Myokarditis zu Tachyarrhythmien oder Reizleitungsstörungen führen.
Das Bannwarth-Syndrom, eine Kombination von akuten Neuritiden peripherer Nerven und lymphozytärer Meningitis, kann einen Bandscheibenvorfall imitieren. Meist weisen die begleitenden Allgemeinsymptome, die beim Bandscheibenvorfall fehlen, auf die Ätiologie hin. Phase III: Spätphase Schließlich folgt meist ein längeres freies Intervall von Monaten bis Jahren, in denen der Patient relativ beschwerdefrei ist, bevor die typischen Manifestationen der Spätphase (Phase III) folgen. Die hohe Affinität der Borrelien zu kollagenen Fasern führt im Spätstadium in aller Regel zu Symptomen am Bewegungsapparat. Myalgien und Arthralgien sind die Regel, auch hier oft in Kombination mit Abgeschlagenheit, Nachtschweiß und Palpitationen. Gerade die Kombination von Arthralgien großer Gelenke, Myalgien und Nachtschweiß sollte an die Borreliose denken lassen. Die klassische Lyme-Arthritis befällt sehr oft die Kniegelenke oder Sprunggelenke, Hüften und Handwurzelgelenke.
Bei dieser Form der Arthritis kommt es oft binnen Stunden zur Ausprägung großer Gelenkergüsse, die nach Punktion extrem schnell nachlaufen.
Eine chronische Kardiomyopathie durch Borrelien wurde beschrieben, Bergler-Klein et al. [5] konnten zeigen, dass sich diese durch antibiotische Therapien bessern lässt.
Mit zunehmendem Verlauf bildet sich durch eine axonale Degeneration peripherer Nerven recht häufig eine Neuropathie aus, die zu fortschreitendem Verlust der Sensibilität führt und in der Regel recht schmerzhaft ist. Sie folgt nicht streng dem Verlauf einzelner Dermatome und ist nie sockenförmig wie beim Diabetiker ausgebildet. Schließlich kommt es nach Jahren bei einem Teil der Patienten zu einer Acrodermatitis chronica atrophicans. Borrelien haben ein Temperaturoptimum bei 32 bis 34 °C, so dass sie sich im Bereich der etwas kühleren Haut der Akren aufkonzentrieren können. Histologisch ist die ACA gekennzeichnet durch eine zunehmende Degeneration des Kollagens mit weitgehendem Verlust elastischer Fasern.
Aus den Hautpartien einer ACA lassen sich Borrelien recht gut kultivieren. Auch dies zeigt, dass es sich bei der Borreliose um eine chronische Infektionskrankheit mit Persistenz des Erregers handelt.
Neben der klinischen Symptomatik stützt sich die Diagnose einer Borrelieninfektion hauptsächlich auf serologische Verfahren, die heute weitgehend standardisiert sind.
Die Bildung (messbarer Mengen) von Antikörpern setzt etwa zehn Tage nach dem Beginn der Bakteriämie ein. Das bedeutet, dass beim Erythema migrans und beim Lymphozytom in aller Regel keine Antikörper nachweisbar sind. Beide Erkrankungen sind aber Blickdiagnosen! Es wäre ein Kunstfehler, bei einem Erythema migrans die Therapie vom Antikörpernachweis abhängig zu machen! Auch zu Beginn einer neurologischen Symptomatik können noch Antikörper fehlen.
Seronegative Borreliosen im Spätstadium gibt es dagegen nicht. Es ist völlig undenkbar, dass eine über längere Zeit laufende, mehr oder weniger intensive Auseinandersetzung zwischen Erreger und Immunsystem ohne Bildung messbarer Antikörper bleibt.
Eine direkte Anzucht des Erregers oder ein Nachweis mit PCR aus Körpermaterialien ist prinzipiell möglich, die Trefferquote allerdings gering. Beim Erythema migrans wäre die Kultur gut möglich, aber unnötig, bei Arthritiden macht nur die Untersuchung einer Synovia-Biopsie, nicht aber von Gelenkerguss Sinn. Meist ist eine PCR üblich.
Bei der Interpretation der serologischen Befunde sind einige spezielle Aspekte zu beachten. In der Phase der Lokalinfektion zeigt der Nachweis von Antikörpern, dass eine Bakteriämie zumindest begonnen hat. Der reine IgM-Nachweis kann auf eine frische Infektion hinweisen, die IgM-Antikörper sind allerdings kreuzreaktiv mit verschiedenen Erregern, so dass sie nicht prinzipiell beweisend sind.
Bei Nachweis von Antikörpern im ELISA sollte grundsätzlich zur Bestätigung ein Westernblot erfolgen, an dem sich die Spezifität der Antikörper zeigen lässt.
Zahlreiche Antibiotika sind in vitro gegen Borrelia burgdorferi (sensu lato) wirksam. Umfangreiche Daten zur In-vitro-Sensibilität liegen vor. Durch Untersuchungen von Preac-Mursic et al. [40, 41], Johnson et al. [24] und anderen [1993, 2, 8, 24, 29] wissen wir, dass vor allem die Cephalosporine der Gruppe 3a Ceftriaxon und Cefotaxim sowie die neueren Makrolide sehr gute In-vitro-Aktivität aufweisen. Benzylpenicillin (Penicillin G) wirkt dagegen nur mäßig gegen Borrelia burgdorferi. Die MHK90-Werte für Benzylpenicillin liegen bei 4 bis 8 mg/l [24, 41]. Dies erklärt, warum es in den chronischen Krankheitsstadien, bei denen perfusionsgestörte Kompartimente vorliegen, oft versagt hat. Von Hansen wurden allerdings die früher mitgeteilten MHKWert-Messungen kritisiert, da Benzylpenicillin im verwendeten Kelly-Medium nicht ausreichend stabil sein soll [16, 17]. Ergebnisse von Tierversuchen [39, 41] und klinischen Studien [7, 19, 33, 38] sprechen ebenfalls dafür, dass die Wirkung von Benzylpenicillin auf Borrelien eher mäßig ist.
Generell schlecht wirksam sind auch die Oralcephalosporine mit Ausnahme von Cefuroximaxetil [30, 35]. Eine primäre Resistenz finden wir bei Aminoglykosiden und Sulfonamiden, was auch erhebliche Zweifel an der von Gasser [15] publizierten Kasuistik über eine erfolgreiche Therapie von Patienten im chronischen Stadium mit einer Kombination aus Roxithromycin und Trimethoprim/Sulfmethoxazol aufkommen lässt.
Wenn überhaupt, so wäre dieser Therapieerfolg allein dem Roxithromycin zuzuschreiben, das aber als Einzelsubstanz ebenfalls schlecht wirksam war [17]. Substanzen mit guter Wirksamkeit sind Amoxicillin, Doxycyclin und Imipenem. Die Makrolide Erythromycin, Roxithromycin und Clarithromycin weisen dagegen Diskrepanzen zwischen ihrer Wirksamkeit in vitro bzw. in vivo auf: Sie sind in vitro hervorragend wirksam, während sie klinisch und im Tierversuch [40] mit Ausnahme von Azithromycin bisher enttäuscht haben. Die Gründe dafür sind unbekannt. Klinische Studien mit Azithromycin in einer Dosierung von 500 mg über 10 Tage sind dagegen vielversprechend verlaufen [46, 47]. Luft et al. [29] fanden dagegen eine Überlegenheit von Amoxicillin gegenüber Azithromycin, wobei in dieser Untersuchung nur 7 Tage lang 500 mg Azithromycin gegeben wurde.
Für die Therapie der Phase II (Generalisationsphase) existieren ebenfalls nur wenige kontrollierte Untersuchungen, wobei unterschiedliche Schwerpunkte gelegt wurden.
Die offene, randomisierte Studie von Dattwyler et al. [9] an 140 Patienten kommt zum Ergebnis, dass Patienten in der akuten Generalisationsphase der Erkrankung genauso gut mit oralem Doxycyclin wie mit parenteralem Ceftriaxon behandelt werden können. Wenn man sich die Patientenauswahl betrachtet, so handelte es sich fast ausschließlich (133 von 140) um Patienten mit multiplem Erythema migrans, teilweise mit zusätzlichen Allgemeinsymptomen als Zeichen einer Bakteriämie. Patienten mit meningitischer Symptomatik waren ausgeschlossen. Die Nachbeobachtungszeit (3 Monate) war relativ kurz.
Akute Neuroborreliosen wurden in mehreren Studien untersucht:
Pfister et al. [37, 38] untersuchten in randomisierten, prospektiven Studien die Wirksamkeit von Benzylpenicillin, Ceftriaxon und Cefotaxim bei der Behandlung der akuten Neuroborreliose.
Beide, vom Design her überzeugenden Studien kommen bei kleinen Fallzahlen zum Ergebnis, dass die Ergebnisse der Therapie mit Benzylpenicillin, mit Ceftriaxon und Cefotaxim bei der akuten Neuroborreliose gleichwertig sind. Bemerkenswert sind die gemessenen Liquorspiegel, die bei Benzylpenicillin unter der MHK für Borrelia lagen. Kohlhepp et al. [27] zeigten in einer randomisierten Studie eine gleiche Wirksamkeit von Benzylpenicillin und intravenösem Doxycyclin.
Skoldenberg et. al. [43] fanden in ihrer nichtrandomisierten Studie ebenfalls gute Therapieerfolge nach Benzylpenicillin und Doxycyclin.
Mülleger et al. [33] verglichen in einer prospektiven Studie bei Kindern die therapeutische Effektivität von intravenösem Benzylpenicillin und Ceftriaxon. Sie zeigten eine gleich gute Wirksamkeit beider Substanzen.
Zur Therapie der chronischen Phase liegen bisher nur wenige kontrollierte prospektive Untersuchungen vor.
Eine erste derartige Untersuchung wurde von Dattwyler et al. 1988 publiziert [7]. 23 Patienten mit klinisch aktiver, chronischer Borreliose wurden randomisiert und mit intravenösem Benzylpenicillin bzw. mit Ceftriaxon therapiert. Während in der Penicillin-Gruppe fünf von zehn Patienten als Therapieversager registriert wurden, war dies in der Ceftriaxon-Gruppe nur einer von 13 Patienten. In einer nachgeschalteten Dosisfindungsstudie wurden 17 Patienten mit 4 g und 14 mit 2 g Ceftriaxon täglich behandelt. Der Unterschied zwischen diesen Gruppen war nicht signifikant (jeweils 2 Therapieversager). Da es sich um relativ kleine Vergleichsgruppen handelt, erscheint eine statistische Auswertung problematisch. Vor allem die Aussagen zum Dosisvergleich (Ceftriaxon 2 g bzw. 4 g täglich) basieren auf einer zu kleinen Zahl von Patienten. Die Nachbeobachtungszeit war insgesamt zu kurz, um Spätrezidive sicher zu erfassen.
Unsere Arbeitsgruppe [19] hat in einer prospektiven, randomisierten Untersuchung an 135 Patienten mit chronischer Borreliose intravenöses Benzylpenicillin mit Cefotaxim verglichen. 69 Patienten erhielten 2 x 3 g Cefotaxim täglich über 10 Tage, 66 Patienten Benzylpenicillin (2 x 10 MegaE), ebenfalls über 10 Tage. Die Cefotaxim-Gruppe schnitt bei einer Nachbeobachtungszeit von 24 Monaten signifikant besser ab (88 % Therapieerfolg bei Cefotaxim, 61 % bei Benzylpenicillin, p < 0,05).
Schließlich existieren retrospektive, nicht randomisiert angelegte Untersuchungen wie die von Wahlberg et al. [49], in der 100 konsekutive Patienten mit chronischer Borreliose untersucht wurden, die verschiedene Formen der Therapie erhalten hatten. 13 Patienten hatten nur einen 14-tägigen Kurs mit Ceftriaxon (2 g/d) erhalten, 62 wurden mit Ceftriaxon über 14 Tage, gefolgt von Amoxicillin (3 x 500 mg) plus Probenecid über 100 Tage, 25 mit Ceftriaxon und nachfolgend mit Cefadroxil (3 x 500 mg) über 100 Tage behandelt. Die restlichen Patienten wurden mit unterschiedlichen Substanzen (Doxycyclin, Cefadroxil) oral behandelt. Wahlberg et. al kommen zum Ergebnis, dass eine Ceftriaxon-Therapie gefolgt von oraler Nachbehandlung effektiver sei als eine alleinige 14-tägige Ceftriaxon-Therapie.
Daneben existieren symptomorientierte Untersuchungen, zum Beispiel zur Lyme-Arthritis: Liu et al. und Steere et al. haben ähnlich aufgebaute UnterChemotherapie Journal 15. Jahrgang | Heft 4/2006 | 109 Hassler | Phasengerechte Therapie der Lyme-Borreliose suchungen zur Therapie der Lyme-Arthritis vorgelegt [28, 45]. In der Studie von Steere wurden 20 Patienten primär mit Doxycyclin, 18 mit Amoxicillin behandelt. Jeweils etwa 90 % sprachen auf die Therapie an. Die nicht erfolgreich therapierten Patienten erhielten Ceftriaxon über 14 Tage. Fünf Patienten (vier aus der Amoxicillin-Gruppe, ein Doxycyclin-Patient) entwickelten später eine Neuroborreliose.
Die Autoren folgern, dass in den meisten Fällen eine orale Therapie ausreicht, und dass in einigen Fällen, die darauf keine Besserung gezeigt hätten, auch mit Ceftriaxon kein entscheidender Therapieerfolg erreicht worden sei. Sie erklären die Therapieresistenz mit der Assoziation zum HLA-DR4. Die Studie erscheint insgesamt zu klein und die Nachbeobachtungszeit zu kurz, um verbindliche Schlüsse zu ziehen, die Zahl der offensichtlichen Therapieversager (Neuroborreliosen) zu hoch, als dass man den Schlussfolgerungen der Autoren folgen könnte.
Huppertz et al. haben 62 Kinder und Jugendliche mit Lyme-Arthritis in einer offenen Studie untersucht [23]. Dabei wurden verschiedenste Regime eingesetzt, in den meisten Fällen aber Ceftriaxon. Von 53 Behandlungszyklen werden 36 als effektiv angegeben, die Nachbeobachtungszeit betrug 24 Monate.
In jüngster Zeit wurde eine Studie von Klempner [26] stark diskutiert. Klempner fand, dass in der chronischen Phase durch wiederholte intravenöse Therapien keine Verbesserung der Symptomatik erreicht werden kann. Diese Studie wird immer wieder als Beleg angeführt, dass es keinen Sinn mache, nochmals intravenös zu behandeln, wenn die klinische Symptomatik persistiert. Da in Klempners Studie aber mehr als 50 % der Patienten eine so genannte „seronegative“ Borreliose hatten, hat diese Untersuchung absolut keine Aussagekraft.
Aus der genannten Datenlage ergebensich folgende Empfehlungen zur Therapie:
Phase I: Lokalinfektion (früher „Stadium I“)
(Erythema migrans und Borrelienlymphozytom)
Bei Erwachsenen:
Doxycyclin 2-3 x 100 mg/20 Tage
Alternativen: Amoxicillin 3 x 750-
4 x 1 000 mg/20 Tage
Cefuroximaxetil 2-3 x 500 mg/20 Tage
Azithromycin 500 mg/10 Tage
Bei Kindern:
Amoxicillin (3-4 x tgl. 15 mg/kg KG),
Cefuroximaxetil (2-3 x tgl. 6 mg/kg KG),
Azithromycin (1x tgl. 6 mg/kg KG)
Bei Schwangeren:
Amoxicillin, Cefuroximaxetil (wie oben)
Phase II (Bakteriämie)
Siehe oben, alternativ auch i. v. Therapie mit Cefotaxim oder Ceftriaxon
Bei ZNS-Beteiligung (Bannwarth-Syndrom):
i. v. Cephalosporine
Phase III (chronisches Stadium)
Cefotaxim 2 x 3 bis 2 x 4 g/15-21 Tage i. v.
Ceftriaxon 2-4 g/14-21 Tage i. v.
Für eine prolongierte Therapie über mehr als 20 Tage liegt kein Beleg für einen Nutzen vor, die Nebenwirkungen steigen aber erheblich.
Für eine orale Therapie mit Doxycyclinim chronischen Stadium fehlen Belege
der Wirksamkeit.
1. Oral-Penicilline
MHK-Werte: 0,05-8 (Median 2)
Im Tiermodell sehr wenig effektiv [24,39].
Studien existieren zur Therapie des unkomplizierten Erythema migrans [6, 50, 44]. Die Wirksamkeit scheint nachgewiesen, wobei die Patientenzahl und die Nachbeobachtungszeiten dieser Studien in den meisten Fällen relativ gering erscheinen. Da die In-vitro-MHK-Werte für Penicilline zu schlecht sind, können Oralpenicilline mit Ausnahme von Amoxicillin (siehe unten) nicht empfohlen werden.
2. Parenterales Benzylpenicillin
MHK-Werte: 0,05-8 (Median 2) Klinische Wirksamkeit bewiesen für die akute Neuroborreliose [38]. Kann trotzdem nicht empfohlen werden, weil in der Studie in keinem einzigen Fall wirksame Liquorspiegel erreicht wordensind.
3. Amoxicillin
MHK-Werte: 0,12-2 (Median 0,5) Die Wirksamkeit für die Therapie des Erythema migrans ist gesichert, in der Studie von Luft war diese besser als die von Azithromycin [29]. Amoxicillin kann zusätzlich mit Probenecid kombiniert werden, um höhere Plasmaspiegel zu erreichen. Da viel höher dosiert werden kann als bei Doxycyclin und die MHK-Werte identisch sind, eigentlich die ideale Substanz im Frühstadium, da höher dosiert werden kann. Sonderrolle bei der Behandlung von Kindern (bestgeeignete Substanz).
4. Cephalosporine
4a) Cefuroximaxetil
MHK-Werte: 1 [24] Einzige Substanz aus der Gruppe, für die gesicherte klinische Daten vorliegen. Dosierung 2 x 500 mg über 20 Tage bei Erythema migrans.
Nadelman [35]: 123 Patienten randomisiert gegen Doxycyclin, 93 % Therapieerfolg; Luger [30]: 232 Patienten, randomisiert gegen Doxycyclin 90 % Therapieerfolg (in beiden Studien, die teilweise identisch scheinen, kein signifikanter Unterschied zur Doxycyclin-Gruppe).
4b) Sonstige Oralcephalosporine
Nur In-vitro-Daten verfügbar, keinerlei klinische Studien.
4c) Cephalosporine der Gruppe 3a (Ceftriaxon, Cefotaxim)
MHK-Werte Ceftriaxon: Baradaran [2] 0,003-0,4, Johnson [24] 0,08, Preac-Mursic [39] 0,06-0,25
MHK-Werte Cefotaxim: Baradaran [2] 0,006-0,1 Beide Substanzen sind in vitro und auch im Tierversuch hocheffektiv und als einzige Substanzgruppe in aussagekräftigen klinischen Studien auch für die chronische Borreliose abgesichert. Dies sind die Referenzsubstanzen für die Therapie der chronischen Borreliose. Ceftriaxon hat gegenüber dem Cefotaxim den Nachteil einer höheren Plasmaeiweißbindung und - wegen der biliären Ausscheidung - höherer Komplikationsraten
[1, 3, 34, 42]. Cefotaxim kann sehr 110 15. Jahrgang | Heft 4/2006 | Hassler | Phasengerechte Therapie der Lyme-Borreliose hoch dosiert werden und ist deshalb als einzige Substanz für eine Hochdosis-Intervalltherapie geeignet [20].
5. Tetracycline
5a) Tetracyclin
MHK-Werte: 0,5-4 (Median 1) Für das Erythema migrans gesicherte Wirksamkeit. Für das chronische Stadium existiert keine prospektive Studie, lediglich eine retrospektive Analyse von Donta [12]. 270 Patienten mit chronischer Borreliose wurden 1 bis 11 Monate mit Tetracyclin behandelt, davon 20 % „seronegative Patienten“. 70 % „Besserung“ inklusive seronegativer Patienten. Nachbeobachtung zu kurz. Studie schlicht unbrauchbar.
5b) Doxycyclin Widersprüchliche In-vitro-Ergebnisse. Angegeben werden folgende MHKWerte: Baradaran [2] 0,1-0,8, Levin [51] 4, Johnson [24] 1,6, Preac-Mursic [39] 0,5. Sehr gut in Studien für das Stadium 1 und die frische Generalisationsphase abgesicherte Substanz. Standard bei Erwachsenen. Heilungserfolge in der Regel > 90 % bei einer Dosierung von 2 x 100 oder 3 x 100 mg über 20 Tage. Minocyclin ist wie Doxycyclin wirksam. Keine verwertbare Studie über die Therapie im chronischen Stadium.
6. Makrolide
6a) Erythromycin
MHK-Werte: 0,003-0,32 (Median 0,125)
Studienergebnisse liegen nur für das Erythema migrans vor. Trotz guter Invitro-Aktivität schlechte In-vivo-Ergebnisse (Steere [44]). Nicht zu empfehlen. 6b) Clarithromycin MHK-Werte: 0,003-0,5 Eine Pilotstudie von Dattwyler [52], 2 x 500 mg über 21 Tage, 91 % Therapieerfolg. Nur 28 von 41 Patienten konnten nach sechs Monaten re-evaluiert werden.
6c) Roxithromycin
MHK-Werte: 0,06-1,6 Eine Studie von Hansen [17] mit 2 x 150 mg über zehn Tage wurde vorzeitig abgebrochen, weil 5 von 19 behandelten Patienten sich unter Therapie verschlechtert hatten. Möglicherweise wurde unterdosiert.
6d) Azithromycin
MHK-Werte: 0,003-0,06 (Median 0,005) Mehrere klinische Studien mit etwas widersprüchlichen Ergebnissen. Strle fand bei einer Dosierung von 500 mg/10 d eine bessere Wirksamkeit gegenüber Penicillinen und Doxycyclin [46], Luft fand eine bessere Wirksamkeit von Amoxicillin gegenüber Azithromycin (500 mg/7 d) bei Erythema-migrans-Patienten. Weber fand eine äquivalente Wirkung [29]. Keine Studie über die Therapie des chronischen Stadiums verfügbar.
7. Fluorchinolone
MHK-Werte: 1-8 (Median 4) Generell werden Fluorchinolone als ungeeignet für die Therapie der Borreliose angesehen.
8. Aminoglykoside
MHK-Werte > 100 Borrelien sind gegenüber Aminoglykosiden primär resistent.
9. Sulfonamide
MHK-Werte: > 100 Borrelien sind gegenüber Sulfonamiden primär resistent. Lediglich von einer Arbeitsgruppe [15] wurde berichtet, dass in einigen Fällen mit der Kombination Roxithromycin + Trimethoprim/Sulfmethoxazol chronische Borreliosen geheilt werden konnten. Dem widerspricht, dass man Trimethoprim/Sulfamethoxazol in der Borrelienkultur zur Vermeidung von Kontaminanten schadlos zusetzen kann!